Ungewöhnliche Hobbys- der Kakteenzüchter



Unbarmherzig legt sich die Hitze auf den sandbedeckten Boden. Ein Mann nähert sich. Seine Schritte sind gemächlich, er bleibt stehen, verweilt, setzt dann seinen Weg fort.
Siegfried Janssen ist Kakteenliebhaber. Es ist Mittagszeit. Samstag. Herr Janssen steht inmitten einer lichtdurchfluteten Halle, Schauplatz der Kakteen- und Sukkulenten Ausstellung der Oldenburger Kakteenfreunde.

Hinter ihm ragt die mächtige Gestalt eines Cereus empor, kurze Dornen, säulenartiger Stamm, mag auch Schatten.Wenn  Janssen spricht, hüpft sein Schnauzbart auf und ab. An seinem blauen Poloshirt mit Aufdruck „Melbourne Australia“ ist ein laminiertes Namensschild befestigt: Siegfried Janssen. 40 Jahre Oldenburger Kakteenfreunde. Alle Mitglieder tragen praktische Schuhe und Outdoorbekleidung. Sie kommen aus Varel, Oldenburg, einer sogar aus Wilhelmshaven.

Man könnte sich in die Wüste versetzt fühlen.Wenn nicht die Glaswand wäre. Und die Spardose in Kaktusform. Und eine verrostete Schere, einsam zwischen Kakteen liegend. Die  Sukkulenten und Kakteen sind auf einem Podest drapiert, von den Kakteenfreunden selbst gebaut, Aufbauzeit eine Woche. Sukkulenten, das sind die aus Afrika. Die Kakteen sind  Amerikaner. Hier leben beide Gattungen friedlich miteinander, importiert in die  nordisch-oldenburgische Klimazone. Eine Migrationsgesellschaft sozusagen.                           

Manchmal fährt ein Zug vorbei. Dann  fährt Herr Janssen seine Ausführungen fort ohne seine Stimme zu senken. Das ist man hier gewohnt in der hintersten Ecke des botanischen Gartens direkt neben den Bahngleisen. Er ist  74 Jahre alt, hat hellgraumelierte Haare wie sie nur sehr blonde Männer haben können. Früher war er Lehrer .Jetzt ist er pensioniert.

Die Kakteen tragen fremd anmutende Namen. Herr Janssen kennt sie alle. Den Cephalocereus mit den  dünnen silbrigen Haaren, die sonnenliebende Mammillaria oder  Echinocactus grusonii mit den langen Dornen. Echinocactus grusonii, mit bürgerlichen Namen Schwiegermutternsitz, wurde von den Azteken im 14. Jahrhundert als ritueller Opfertisch für Menschenopfer  genutzt.

Kakteen sind ein harmloses Hobby. Ein bisschen Wasser. Der richtige Standort .Dünger. Zwei Wochen Urlaub: kein Problem. Die Jahresmitgliedschaft kostet 12 Euro jährlich, die Schnuppermitgliedschaft im „Golfclub Oldenburger Land E.v“ hingegen 948€.

Im hinteren Bereich des Ausstellungraums verwehrt ein Vorhang aus Sisalfasern den  Besuchern den Blick. Hier liegt Opuntia humifus, winterhart, niedrige Wuchshöhe,  neben einem schwarzen Plastikkübel. Ein Kakteenfriedhof. Kann man um einen Kaktus trauern? Herr Janssen freut sich nicht wenn ein Kaktus stirbt. Aber er ist auch Realistiker. “ Dann gibt es  Platz für neue Experimente“ sagt er.

Im Kakteenhaus findet sich derweil ein Besucher ein. Lange graue Haare. Um seinen Hals baumelt eine Spiegelreflexkamera. Nikon , langes Objektiv. Festbrennweite 135mm. Er hebt die Kamera. Blickt durch den Sucher. Klack. Echinocactus grusonii mit den langen Dornen, befindet sich nun auf der Speicherkarte, 8 GB.

Es riecht nach trockenen Sand. Und ein bisschen nach  Männerschweiß. Auf eine kugelige Echinopsis cardenasiana setzt sich eine Fliege nieder und putzt ihre Vorderbeine. „ Andere sind nach der Rente in ein schwarzes Loch gefallen. Ich nicht. Mein Hobby hält mich jung“, sagt Herr Janssen. Kakteen, das merkt man, sind nicht nur sein Hobby, sie sind seine Passion. Der Kakteenverein allerdings teilt eine Gemeinsamkeit mit den Freiwilligen Feuerwehren: Überalterung. Jüngstes Mitglied ist 35, Durchschnittsalter geschätzte 65 Jahre .Letztens sind die Osnabrücker Gartenfreunde ausgestorben.

Dabei sind Kakteen nie aus der Mode gekommen. Es gibt Kakteenmarmelade, Kakteengesichtsgel, Kaktuskissen, Kaktuseis. Und neulich hat Facebook einen Kaktussmiley eingeführt.

Heute Morgen ist endlich die langersehnte Blüte von Ardenium, strauchförmig, rosablühend, pünktlich zur Ausstellungseröffnung  aufgegangen. Herr Janssen und die anderen Kakteenliebhaber sind begeistert, ihre Frauen weniger. Bei den Oldenburger Kakteenfreunden, e.V herrscht akuter Frauenmangel. Die meisten Frauen begleiten zwar ihre Männer, Begeisterung für den wohlproportionierte Blüte der Adenium, strauchförmig, rosablühend können sie aber nicht aufbringen. Herr Janssens Frau bildet da keine Ausnahme
“Meine Frau mag die Biester nicht. Sie akzeptiert nur die Palme .Zum Daruntersetzen“ sagt Herr Janssen.

Vorne am Eingang liegt ein Vereinsbuch. Es sind Fotos von den letzten Vereinsausflügen eingeklebt und Herr Janssen ist auf vielen von ihnen abgebildet. Manchmal schaut er in die Kamera, meistens nicht. Ein Flyer wirbt für die 3. Mainfränkischen Kakteentage. Seit diesem Jahr kann erstmals „Germanys Next Topkaktus“ gewählt werden
Herr Janssen wird hingehen.

Es ist noch heißer geworden. Staubiger Sand rieselt von den Schuhen des Herrn Janssen herab. Für einen kurzen Moment verschmilzt die  Silhouette von Cereus auf dem Boden mit Herrn Janssens Schatten. Dann ist Cereus, kurze Dornen, säulenartiger Stamm, wieder alleine. Janssen ist verschwunden. Er hat Durst.

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