Ungewöhnliche Hobbys: die Jagdhornbläser




Der Trauermarsch der Gämse. Lang, lang, kurz. Er klingt wie das Nebelhorn eines Frachtschiffes. Die Männer mit nach oben gezwirbelten Bärten und Hüten mit Eichelhäherfedern recken die Jagdhörner gen Himmel. Ihre Köpfe sind rot angelaufen. „Wer einen roten Kopf hat, bläst nicht richtig", sagt Werner Boehm. Boehm ist Musikalischer Leiter der „Jagd- und Alphornbläser Loccum." Vor ihm sitzen neun Frischlinge mit angespannten Gesichtsmuskeln und warten auf die erste Lehrstunde im Jagdhornblasen. Zwischen ihnen ich: 24 Jahre alt, Studentin, Vegetarierin.
„Hausschlachtung" wirbt ein Schild am Eingang des Hotel Rodes in Rehburg-Loccum. Hier im Hotel Rodes findet der Kurs „Anfänger am Jagdhorn" statt. Vom nächsten Bahnhof in Nienburg aus fährt der Bus 40 Minuten. Zur Vorbereitung habe ich meine Outdoorjacke vom Dachboden geholt und mir Videos auf YouTube angeschaut. Es gibt etwa das Jagdhornsignal „Sau tot", „Gams tot" und das „Allgemeine Halali."  Der Klang des Jagdhornes und meines Weckers teilen in meinen Ohren eine Gemeinsamkeit: Beide klingen zu jeder Tageszeit grausam. 
Werner Boehm ist 70 Jahre alt, trägt ein längs gestreiftes Oberteil und hat einen grauen Schnurrbart. Boehm erzählt  von Atmen. Die richtige Weise während des Atmens den Bauch anzuspannen, die Atmungsweise ohne die Backen aufzublasen und richtige Atmung, um nicht aus dem Atem zu kommen. „Männer sind besser im Blasen", sagt Boehme und sein grauer Schnurrbart zieht sich dabei zu einem Grinsen nach oben. Dann holt er Desinfektionsspray aus einer schwarzen Ledertasche, reibt die Mundstücke damit ein und verteilt sie an alle Kursteilnehmer. Das kleine Metallstück fühlt sich kalt an den Lippen an.
Klavierspieler gelten als intellektuell, Schlagzeugspieler als cool, Gitarristen sind lässig. Und Jagdhornspieler? Ursprünglich diente das Jagdhorn als Kommunikationsmittel für die im Wald verstreute Jägerschaft. Heutzutage wird das Jagdhorn auch als Musikinstrument verwendet. Aber die meisten Jagdhornspieler sind Jäger.„Und welche Beziehung habt ihr zur Jagd?", fragt Boehm. Vier Jägersfrauen, ein Hobbyjäger, eine Hausfrau mit Jagdhund, eine Jägersgehilfin, ein Jägerstochter. Ich habe letztens eine Petition für ein Verbot der Fuchsjagd unterschrieben.                                                                                                                                          
Die Jägersfrau neben mehr scheint gute Bauchmuskeln zu haben. Sie schafft es dem Jagdhorn zwei von fünf möglichen Tönen zu entlocken. Jeder Kursteilnehmer muss aufstehen und in das Jagdhorn blasen. Die Anderen achten derweil auf die richtige Atemtechnik. Dann bin ich an der Reihe. Ich stehe auf und greife zum Mundstück. Ich puste, ich blase die Backen auf, ich keuche. Aber das Jagdhorn schweigt.  „Einatmen und Ausatmen", sagt Boehme. Endlich: ein kurzes Tuten. Nicht so lang gezogen wie das Nebelhorn eines Frachtschiffers, eher wie das verzweifelte Hupen eines untergehenden Bootes.
Wenn die Jagd vorbei ist, wird der „Halali" geblasen. Werner Boehm bläst keinen Halali, aber am Ende der ersten Stunde möchte er alle Handynummern haben:„ Damit wir eine WhatsApp Gruppe machen können." Die Erstellung der WhatsApp Gruppe überlässt  er dann aber doch den Jüngeren.    Ich werde niemals nach der Erschießung einer Gämse in das Jagdhorn blasen. Aber nächsten Frühlung werde ich den Karotten in meinen Gemüsebeet ein paar Jagdhornstücke vorspielen.Vielleicht verschwinden davon die Schnecken.

Kommentare

Beliebte Posts